Lesedauer: 3 Minuten
Thema: Branding
Autorin: Sabine Stoll
#branding #marke #markenwelt #art #kunst
Marken finden sich überall – auch in der Kunst. Doch was zeichnet Brands aus, die in der Kunstwelt zu finden sind? Was machen Marken mit der Kunst – bzw. was macht die Kunst mit der Marke?
Folgt man Systemtheorien wie der von Niklas Luhmann, besteht die Gesellschaft aus verschiedenen Teilbereichen. Zum Beispiel Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Bildung – und eben die Kunst. Jedes dieser Systeme funktioniert nach einer eigenen Logik. So auch die Kunst. Diese operiert nach der Logik der Ästhetik. Kunstwerke werden danach eingeschätzt, ob sie ästhetisch sind bzw. den aktuellen ästhetischen Anforderungen genügen.
Kunst als Selbstzweck
Das Besondere am Kunstsystem ist, dass die geschaffenen Kunstwerke sich selbst genügen (sollen) und somit zum Selbstzweck geschaffen werden. Zumindest ist das nach wie vor die übliche Erwartungshaltung. Künstler_innen sollen nicht in erster Linie Unternehmer_innen sein und ihre Kunst vermarkten, sondern aus ihrer Persönlichkeit, Identität und Überzeugung heraus – also tief aus ihrem Inneren – sinngeladene Kunstwerke erschaffen. Das Kunstwerk muss sich also immer selbst genügen und soll nicht primär geschaffen worden sein, um als Verkaufsware, politisches Mittel oder religiöses Symbol zu dienen.
Kunst soll eine eigene Realität erschaffen, die sich zwar durchaus auf aktuelle politische oder gesellschaftliche Vorgänge beziehen darf, aber noch deutlich abgrenzbar sein soll davon. Heisst: als Betrachter_in möchte ich die Wirklichkeit deutlich von der Kunst unterscheiden können. Dabei sollen Kunstwerke nicht einfach eine Verschönerung sein, denn dann handelt es sich einfach um ein Deko-Objekt und das Kunstwerk wird zur Banalität. Nein, Kunst soll eine Aussage haben oder einen kritischen, verträumten oder wie auch immer gearteten Blickwinkeln auf die Realität einnehmen.
Der Kunstmarkt ist nicht neu
Schon zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert entstand ein auf Angebot und Nachfrage basierender Kunstmarkt. Zuvor wurde Kunst in allererster Linie durch Kirchenvertreter*innen, Fürst*innen und König*innen nachgefragt, die Bilder, Skulpturen und weitere Kunstwerke in Auftrag gaben. Der entstehende Kunstmarkt bot den damaligen Künstlern die grosse Chance, ihre Werke auch unabhängig von Königshäusern und Päpsten anzubieten. Schon damals wurden Kunstwerke auch aufgrund des fehlenden Gebrauchswertes als Sachanlagen genutzt.
Bekannte Maler, Bildhauer und Komponisten entwickelten sich nicht nur zu anerkannten und gesellschaftlich geschätzten Persönlichkeiten, sondern wurden selbst zu einer Art von Marke. Einerseits aufgrund des Mythos, den diese Persönlichkeiten schufen oder hervorriefen – man denke an das Wunderkind Mozart. Andererseits auch durch die typische Art und Weise, in der die Kunstwerke erschaffen wurden. Nicht umsonst spricht man auch vom Markenzeichen von Kunstschaffenden.
Märkte machen Marken
Also: so, wie es im Wirtschaftssystem unzählige Teilmärkte gibt, existiert die Kunst eben auch auf einem Kunstmarkt, auf dem Kunstwerke als Waren gehandelt werden. Märkte machen Marken: vor allem dort, wo viel Wettbewerb herrscht, entstehen Marken bzw. werden besonders in den Mittelpunkt gestellt. Nicht nur die Künstler_innen selbst sind zu Marken geworden, sondern auch Galerien, Auktionshäuser und weitere Akteur_innen der Kunstwelt.
Kunstwerke sind mehr als Wirtschaftsgüter, sie sind aber auch mehr als blosse Kunstwerke. Oft lebt Kunst von der idealisierten, provokanten oder wie auch immer gearteten speziellen Persönlichkeit des oder der Kunstschaffenden. Kunstmarken entwachsen den Projektionen des Publikums ebenso wie der Selbstinszenierung der Künstler_innen. Im Gegensatz zu einfachen Konsumgütern, die nur schwer den Status einer Marke erreichen, verfügt Kunst ja schon per se über einen Sonderstatus.
Analog zu klassischen Marken haben Kunstwerke von Haus aus keinen Gebrauchsnutzen, sondern leben von ihrem Zusatznutzen bzw. dem mystischen Mehr der Marke. Ein in der Dekoabteilung bei IKEA erstandenes Bild für die heimische Wohnzimmerwand ist eben keine Kunst, da das Produkt zwar an sich ästhetisch ist, aber keine irgendwie geartete künstlerische Bedeutung, keine spezielle Identität oder Geschichte mit sich bringt.
Der Wert von Kunst
Für eine spezielle Marke bin ich als Konsumentin bereit, einen höheren Preis zu zahlen. Bei Kunst ist eine Preisbestimmung noch viel schwieriger als bei herkömmlichen Marken. Der Preis einer Kunstmarke (ob nun Künstler_in oder Kunstwerk selbst) ist abhängig von dem Anlagewert des Kunstwerks, aber auch von der idealisierten Vorstellung über den Typus des Kunstschaffenden bzw. die mit dem Kunstwerk verbundenen Aussagen.
Gerade die Schöpfungskraft der Kunstschaffenden und die scheinbare Zwecklosigkeit der Kunst nimmt Einfluss auf dessen Preis. Die Produktionskosten sind dabei hintergründig und spielen für den Wert des Produkts selbst keine Rolle. Erreicht ein Kunstwerk bei einer Auktion einen hohen Verkaufspreis, nimmt dies Einfluss auf die Reputation dieser Kunstmarke. Der am Markt erzielte Preis ist hier also mehr von Bedeutung als ein irgendwann einmal festgelegter Verkaufspreis.
Kunstmarken sind im Grunde eine Art von Luxusmarken, mit denen ich meine Identität ausstaffieren und diese zur Distinktion nutzen kann. Da der künstlerische Wert von Kunst schon seit Jahrzehnten zum Streitthema geworden ist, ist das IKEA-Bild also nicht zwangsläufig als Kunstwerk weniger gut – sondern diesem fehlt es einfach an Besonderheiten.
Kunst und Wirtschaft – wer prägt wen?
Die Kunst als gesellschaftliches Teilsystem ist längst keine Sphäre mehr – oder was es noch nie – in der es ausschliesslich um den künstlerischen oder ästhetischen Wert von Kunstwerken geht. Schon längst hat die Kunst diversifizierte Märkte herausgebildet, auf denen Marken als Akteurinnen unterwegs sind.
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